Hildesheim - Ich schalte den Fernseher an, drücke auf das Netflix-Symbol – und dann geht das verzweifelte Scrollen los. Nein, diese Serie wird’s nicht, hört sich zu seicht an. Nein, dieser Film klingt zu gruselig, und puh: Der nächste ist ganz schön lang, schaffe ich heute nicht mehr. Kommt dir diese Situation bekannt vor, liebe Julia? Mich macht diese Qual der Wahl oft wahnsinnig, und dann passiert immer dasselbe. Statt mir was Neues anzusehen, schalte ich doch wieder meine Lieblingsserie oder meinen Lieblingsfilm an. Geht es mir gut, wird’s Desperate Housewives oder Dirty Dancing. Geht’s mir schlecht, The Affair oder A Star is Born. Obwohl ich alle auswendig kenne.
Aber ich bin nicht die Einzige, die sich unter all den Möglichkeiten doch immer wieder fürs Altbekannte entscheidet. Das Phänomen hat sogar einen Namen: Comfort Binge. Dahinter steckt das Gefühl von Geborgenheit und Vertrautheit, das die bekannte Handlung und lieb gewonnene Charaktere in einem auslösen. Dass man genau weiß, was gleich passiert, Lieblingsszenen mitsprechen kann und jedes Mal wieder im gleichen Moment mitweinen muss, sei sogar gut für die mentale Gesundheit, schreibt ein US-Professor auf dem Portal Psychology Today.
Comfort Bingen soll emotionale Bedürfnisse erfüllen
Achtung, jetzt wird’s deep: Ihm zufolge hilft uns das Comfort Bingen dabei, unsere emotionalen Bedürfnisse zu erfüllen. Es soll uns ein Gefühl der Kontrolle geben: Weil wir die Geschichten und Emotionen erleben, die wir erwarten, und auch wissen, wie wir uns nach dem Schauen fühlen werden. Deswegen gucken sich die meisten Menschen dem Professor zufolge auch häufiger Komödien an als Dramen. Hm. Was sagt das jetzt über meine traurige Comfort-Binge-Auswahl aus? Na ja, ein Thema fürs nächste Mal. Heute ist ein Tag für Dirty Dancing.
In der Kolumne „Unter uns“ schreiben die HAZ-Redakteurinnen Katharina Brecht und Julia Haller im Wechsel über Themen, die nicht nur Frauen um die 30 bewegen.